Datum: | 30. Mai 2004 |
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Autoren: | Hans-Peter Schröcker, Georg Glaeser |
Url: | http://techmath.uibk.ac.at/geometrie/institutsangehoerige/schroecker/fh/ibdg/ibdg-2004-2-fh.html |
Zusammenfassung
In diesem Text beschäftigen wir uns mit dem »Geometrischen Freihandzeichnen«. Neben einer Definition dieses Begriffs geben wir Argumente an, welche die Relevanz des Freihandzeichnens auch und gerade im modernen Geometrieunterricht belegen sollen. Einige dieser Argumente werden anhand von Beispielen erläutert.
Das Thema des vorliegenden Artikels ist das Geometrische Freihandzeichnen im Unterricht. Wir werden zunächst versuchen, den Begriff genauer zu definieren und seine Bedeutung für den Geometrieunterricht zu skizzieren. Anschließend wollen wir an Hand einiger Beispiele demonstrieren, dass das Geometrische Freihandzeichnen viel zu den grundlegenden Lehrzielen der Darstellenden Geometrie (Förderung der Raumvorstellung, Vermittlung geometrischen Wissens etc.) betragen kann.
Unter Geometrischem Freihandzeichnen verstehen wir die freihändige grafische Darstellung von dreidimensionalen Objekten auf Papier, wobei die folgenden Punkte erfüllt werden:
Es gibt einige mehr oder weniger offensichtliche Gründe, die für die Verwendung von Freihandskizzen im GZ- und DG-Unterricht sprechen.
Zu nennen wären vor allem einmal die Ökonomie der Darstellung in bezug auf Material und Zeit. Für eine Freihandzeichnung reichen Papier und Bleistift, für eine klassische Konstruktionszeichnung der Darstellenden Geometrie benötigt man noch Zirkel und Lineal, für eine Computerzeichnung einen ganzen Computer. Weiters ist eine geometrische Freihandzeichnung, auch wenn sie mit Sorgfalt ausgeführt wird, der klassischen Konstruktion und der Computerzeichnung an Geschwindigkeit in den meisten Fällen überlegen.
Sowohl der Lehrplan für DG an den allgemeinbildenden höheren Schulen als auch der GZ-Lehrplan weisen direkt auf die Verwendung der Freihandskizze hin:
Erkennen und Verwenden der Geometrie als Sprache; Einsetzen von Handskizzen als Hilfsmittel bei der Entwurfsarbeit, aber auch als selbstständige Darstellungsform;
—GZ Lehrplan
Zur Stützung der Raumanschauung empfiehlt es sich, axonometrische Risse und Handskizzen durchgehend zu verwenden.
—DG Lehrplan (AHS)
In beiden Lehrplänen ist darüber hinaus auch von allgemeineren Lehrzielen die Rede, die durch das freihändige Skizzieren erreicht werden können (»die Zeichnung als Sprache der Technik«, »Vorbereitung auf die Berufswelt«, »Vorteile von Gründlichkeit und Ordnung erkennen« etc.).
Wir sind der Meinung, dass die Bedeutung der Freihandzeichnen durch die zunehmende Verbreitung des Computers in Schule und Beruf keineswegs geschmälert wird. Ganz im Gegenteil: Dreidimensionale Darstellungstechniken am Computer und Freihandzeichnen ergänzen sich sehr gut:
Ein weiteres Argument für die Freihandzeichnung ist die Motivation der Schülerinnen und Schüler. Gerade kreativ begabte Schülerinnen und Schüler, die im klassischen Unterricht und im Unterricht am Computer häufig zu kurz kommen, fühlen sich durch das Freihandzeichnen angesprochen. Außerdem ist die Fähigkeit, rasch korrekte Freihandskizzen anzufertigen, eine notwendige Qualifikation in vielen kreativen, technischen oder naturwissenschaftlichen Berufen.
Es gibt aber auch methodische und didaktische Argumente für das Freihandzeichnen. Diese sollen im folgenden Abschnitt mit Beispielen untermauert werden. Wir wollen zeigen, das das Freihandzeichnen ausgezeichnet dazu geeignet ist, geometrischer Zusammenhänge zu vermitteln und die Raumvorstellung zu trainieren. Eine geometrisch korrekte Freihandskizze erfordert ein umfangreiches geometrisches Wissen, ihre Korrektheit kann anhand von objektiven Kriterien überprüft werden.
Wir stellen einige Beispiele vor, die Einsatzmöglichkeiten der Freihandzeichnung im Geometrieunterricht aufzeigen. Sie sollen bisherige Behauptungen stützen und als Anregung für die Entwicklung weiterer ähnlicher Beispiele dienen. Die vorgeschlagenen Lösungen und Beurteilungskriterien sind naturgemäß nicht endgültig. In Abhängigkeit von Unterrichtsaufbau und Lehrzielen können sie verkürzt, abgeändert oder ergänzt werden, wie dies ja auch in der klassischen Darstellenden Geometrie der Fall ist. Weitere Beispiele sind zu finden in [DOP02], [SCH03] und [SCH04].
Schrägrisse der fünf platonischen Körper sind freihändig relative einfach zu skizzieren. Man muss allerdings wissen, wie man vorzugehen hat. Ein Lösungsansatz wird beispielsweise in [ZAL90] angegeben. Angeblich waren die dabei verwendeten geometrischen Zusammenhänge auch schon Euklid bekannt. Wir besprechen nur das Dodekaeder und das Ikosaeder.
Ausgehend von einem Würfelbild werden auf den Seitenflächen mittig liegende Strecken wie abgebildet angebracht. Die Länge b dieser Strecken teilt dabei die Kantenlänge a nach dem golden Schnitt b:a=0,6180… Dieses Teilverhältnis kann entweder geschätzt oder durch dreimaliges Halbieren (von 0,5 auf 0,75 auf 0,625) angenähert werden (freihändiges Halbieren ist relativ genau).
Die so erhaltenen Punkte sind bereits die Eckpunkte eines Ikosaeders. Will man ein Dodekaeder erhalten, so verschiebt man die Strecken jeweils um die Länge b/2 vom Würfelzentrum nach außen. Zusammen mit den Würfelecken bilden die neu entstehenden Punkte ein Dodekaeder.
Will man den gesamten Körper darstellen, so kommt man nicht umhin, auch mittige Strecken auf verdeckten Seitenflächen zu zeichnen. Insgesamt ist ein systematischen, übersichtliches und genaues Arbeiten notwendig.
Im nächste Beispiel ist eine normalaxonometrische Skizze der Erdkugel mit Äquator, Nullmeridian und 90°-Meridian anzufertigen. Anschließend ist ein von diesen Kurven begrenztes Achtel der Erdkugel auszuschneiden. Das entstehende Objekt ist anschaulich darzustellen. Die folgende Abbildung zeigt die Angabe, die fertige konstruktive Lösung und ein anschauliches Bild.
Zunächst hat man drei Großkreise auf der Kugel darzustellen. Ihre Bilder sind Ellipsen, deren Hauptachsen normal auf das Bild der jeweiligen Kreisachsen stehen. Die Hauptachsenlänge ist gleich dem Kugelradius. Wir beginnen mit der Äquatorellipse. Um ihre Exzentrizität richtig einzuschätzen, ist es notwendig, sich einen weiteren Ellipsenpunkt zu verschaffen. Dies geschieht, nach dem Satz von Thales, durch Parallelverschieben der x- und y-Achse durch die Hauptscheitel der Äquatorellipse. Danach kann die Ellipse mit hinreichender Genauigkeit eingezeichnet werden. Dieses Vorgehen ersetzt die klassische »umgekehrte Papierstreifenkonstruktion«.
Der Null- und der 90°-Meridian werden im Prinzip gleich dargestellt. Allerdings sind bereits Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen bekannt. Auf die Ermittlung zusätzlicher Punkte kann daher verzichtet werden. Bei der abschließenden Ausfertigung ist Wert darauf zu legen, dass die Schnittpunkte von je zwei Kreisen auf den Koordinatenachsen liegen. Das Einhalten dieses Kriteriums beim Zeichnen der letzten Ellipse ist nur möglich, wenn bereits die erste Ellipse korrekt dargestellt wurde.
Das folgende Beispiel ist in seiner Gesamtheit für den Schulunterricht wohl zu schwer. Der präsentierte Ausschnitt stellt allerdings bereits große Anforderungen an die Raumverstellung und demonstriert die Wichtigkeit des Flächenumrisses im Freihandzeichnen.
Es soll ein Viviani'sches Fenster (Durchdringung einer Kugel und eines Drehzylinders von halbem Radius, der den Kugelmittelpunkt enthält) skizziert werden.
Mit Methoden, die denen des Erdkugelbeispiels ähnlich sind, kann man Kugel, Zylinder sowie die – in unserem Beispiel – höchsten und tiefsten Punkte der Durchdringungskurve mitsamt Tangenten darstellen. Dabei wird auch die nicht elementare Tatsache verwendet, dass die Doppelpunktstangenten eine Winkel von 90° einschließen. Mit Hilfe dieser drei Punkte und des Umrisses der beiden beteiligten Flächen kann nun die Kurve recht gut dargestellt werden.
Dabei ist es jedoch unbedingt erforderlich, sich genaue Gedanken über den Kurvenverlauf, den Wechsel zwischen sichtbaren und unsichtbaren Bereichen und der Lage der Umrisspunkte zu machen. Man erkennt beispielsweise, dass das Bild der Durchdringunskurve in der hier verwendeten Normalaxonometrie notwendigerweise einen weiteren Doppelpunkt besitzt. Die hohen Anforderungen dieses Beispiels kann man wohl erst dann richtig einschätzen, wenn man sich selbst (ohne Vorlage!) daran versucht.
Das nächste Beispiel stammt aus [DOP95]. Es soll unter anderem demonstrieren, wie ein ursprünglich für die Konstruktion mit Zirkel und Lineal konzipiertes Beispiel freihändig gezeichnet werden kann.
Die durch Grund- und Aufriss festgelegte Kirche soll in der angegebenen Perspektive (Augpunkt O, Hauptpunkt H) dargestellt werden. Bei der Angabe fällt zunächst auf, dass Maßangaben fehlen. Für die freihändige Darstellung sind diese Informationen tatsächlich überflüssig, da es nur auf die ohnehin zu schätzenden Proportionen des Objektes ankommt.
Mit Hilfe der Angabe (Grundrissskizze) ermitteln wir im perspektiven Bild Horizont, Hauptpunkt und Fluchtpunkte sowie eine in der Bildebene liegende Objektkante. Dies ist alles völlig analog zum Durchstoßverfahren der Perspektive. Das Übertragen von Distanzen aus dem Grundriss ins perspektive Bild ist allerdings nicht besonders genau und sollte daher auf das absolut notwendige Minimum reduziert werden.
So früh wie möglich werden die Fluchtpunkte zur weiteren Vervollständigung der Zeichnung verwendet. Insbesondere sollten Teilverhältnisse auf horizontalen Geraden durch einen der Fluchtpunkte direkt übertragen werden. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an:
Zur Darstellung der beiden Kreise im perspektiven Bild der Kirche verwendet man umschriebene Quadrate. Wegen der Wahl der Aughöhe liegt der obere Kreis in einer projizierenden Ebene.
Bei den vorgestellten Beispielen handelt es sich um schwierige Aufgaben. Die Schülerinnen und Schüler müssen bereits ein vertieftes geometrisches Wissen erworben und ein Verständnis der geometrischen Zusammenhänge entwickelt haben. Selbstverständlich lassen sich auch einfachere Beispiele freihändig lösen. Insbesondere das direkte Konstruieren in schiefer Axonometrie bietet sich dazu an, weil eigentlich keine besonderen Kenntnisse und Techniken vorausgesetzt werden müssen.
Die Detailliertheit von einigen der präsentierten Freihandkonstruktionen lässt vielleicht die Frage nach ihrer Sinnhaftigkeit aufkommen. Neben den in Abschnitt 1 dargelegten didaktischen Gründen ist dazu noch zu bemerken, dass bei künstlerisch Tätigen durchaus Interesse an solchen Detailkonstruktionen besteht. Die Frage, wie etwas wirklich aussieht, ist auch und gerade für Künstler durchaus von Interesse.
Soweit die Autoren es beurteilen können, steht nur wenig gedrucktes Lehrmaterial zum Geometrischen Freihandzeichnen zur Verfügung. Darüberhinaus finden sich darin oft elementare Fehler. Die Autoren hoffen, dass dieser Text Anregungen zur Ausarbeitung eigener Beispiele liefert und dass die Unterrichtenden das große Potential erkennen, welches das Freihandzeichnen für den Geometrieunterricht bietet.
Die Autoren sind Manfred Dopler aus Reutte/Tirol und Christian Perrelli (Universität für Angewandte Kunst Wien) für viele Anregungen und Ideen zu Dank verpflichtet.
[DOP95] | M. Dopler, Die Perspektive im DG-Unterricht der AHS: Ein Lehrgang in Arbeitsblättern (Teil III), IBDG 2, 36–55, 1995. |
[DOP02] | (1, 2) M. Dopler, Freihandzeichnen im Unterricht für GZ und DG, IBDG 2, 12–25, 2002. Arbeitsblätter sind erhältlich unter http://www.geometry.at/materialien/beispdg/dopler/. |
[SCH03] | H.-P. Schröcker, Geometrisches Freihandzeichnen an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, Proceedings Dresden Symposium Geometrie, TU Dresden (2003) 289–296. |
[SCH04] | H.-P. Schröcker, Internetseite zum Geometrischen Freihandzeichen, http://www.dmg.tuwien.ac.at/schroecker/fh/ |
[ZAL90] | H. Zaloznik, Schrägriss der 5 Platonischen Körper, IBDG 2, 38–39, 1990. |